Kenntnis - Bewusstsein - Aufmerksamkeit. Wichtige Voraussetzungen für nachhaltige Veränderungsprozesse.
Die Entscheidung steht vor der Handlung - oder: Jede Veränderung braucht einen Auslöser
Wenn ich auf einer stillen Wasseroberfläche Wellen erzeugen möchte (beispielsweise in einem Schwimmbecken oder einem kleinen See), muss ich diese Veränderung herbeiführen, beispielsweise, indem ich mit dem Finger in das Wasser tauche oder einen Stein hineinwerfe. Dieser Prozess beginnt mit einer Entscheidung. Genau genommen beginnt er bereits noch früher, nämlich mit bestimmten Reizen, die auf mich wirken, von meinem Gehirn verarbeitet, bewertet und geordnet werden, und die mich zu der entsprechenden Entscheidung führen, diesen Prozess anzustoßen. Dann kommt die Handlung. Als Ergebnis werde ich Wellen beobachten können, die ihrerseits wiederum Effekte nach sich ziehen können. Beispielsweise kann ein Papierschiffchen oder eine Ente, die auf dem Wasser schwimmt, unfreiwillig in eine Auf- und Abwärtsbewegung geraten. Meine Handlung hat also einen Effekt auch auf Andere. Das ist der Kern des systemtheoretischen Ansatzes in der Kommunikation und im Coaching.
Wellen auf dem Wasser zu erzeugen stellt eine sehr einfache gedankliche Konstruktion dar. Komplizierter wird es, wenn ich mich mit Persönlichkeitsmerkmalen beschäftige. Innere Glaubenssätze und Grundüberzeugungen (also Dogmen, innere Antreiber und Lebensthemen), internalisierte Verhaltensweisen (ausgebildete Aktions- und Reaktionsmuster, also auch unser Kommunikationsverhalten) etc. Deren Veranlagung hat bereits in der frühen Kindheit begonnen, und dementsprechend sind diese zu festen Bestandteilen unseres ICHs geworden. Da diese Persönlichkeitsmerkmale so tief in uns verankert sind, ist es entsprechend schwer, diese mal eben einfach so zu ändern. Aber es nicht unmöglich. Wäre es unmöglich, gäbe es keine Psychotherapie, keine Kommunikationstrainings und kein Coaching.
Persönlichkeitsentwicklung findet auch ohne bewusste Steuerung statt. Wer empathisch und mit dem Willen zur stetigen persönlichen Weiterentwicklung durch's Leben geht, reift automatisch. Wer jedoch bestimmte Persönlichkeitsmerkmale bewusst verändern möchte, braucht neben Kraft und Ausdauer 3 wesentliche Komponenten im Gepäck, und diese möchte ich hier im Folgenden näher betrachten.
Kenntnis
Ohne die Kenntnis meines Veränderungspotenzials wird es schwierig. Mit Veränderungspotenzial meine ich die Existenz von kommunikationspsychologischen Erkenntnissen und Modellen, von Persönlichkeitsmodellen, etc. Wenn ich von diesen Dingen keine Kenntnis habe, kann ich meinen Fokus nicht darauf lenken. Wenn ich aber Kenntnis von ihnen habe, kann ich den Sinn und die Wirkweise verstehen. Ich nehme als Beispiel das weltweit bekannte, sehr einfache und äußerst wirkungsvolle 4-Ohren-Modell (auch 4 Seiten einer Nachricht oder Nachrichten-Quadrat) von Friedemann Schulz von Thun, einem sehr bekannten Deutschen Kommunikationswissenschaftler. Es besagt, vereinfacht dargestellt, dass jede Nachricht 4 Botschaften enthält (Sach-Botschaft, Appell, Beziehungsbotschaft und Selbstkundgabe.) Diese Botschaften können vom Sender (teilweise versteckt) ausgehen, aber auch vom Empfänger selektiert herausgehört werden. Was der Sender eigentlich sagen möchte, kommt vielleicht beim Empfänger ganz anders an, weil dieser auf einem bestimmten Ohr (nämlich einem der 4 Ohren) hört. Daher kann es zu Missverständnissen in der Kommunikation kommen. Zu diesem Modell gibt es natürlich viel mehr zu erfahren, aber das würde hier den Rahmen sprengen. Ich werde dieses Modell in einer weiteren Folge meines Podcasts tiefergehend beschreiben, daher bleiben Sie dran und abonnieren Sie meinen Podcast. Sie können selbstverständlich auch ein Training zu diesem Thema buchen. Ich freue mich auf Ihre unverbindliche Anfrage...
Aber zurück zum Thema. Nur, wenn ich also Kenntnis von diesem Modell habe, dann kann ich im nächsten Schritt die Zusammenhänge verstehen. (Anmerkung: Der amerikanische Psychologe und Erziehungswissenschaftler Benjamin Bloom spricht in seiner bekannten Lernziel-Taxonomie hier bereits von 2 verschiedenen Stufen, nämlich 1. Wissen und 2. Verstehen. Bei ihm geht es aber um Lehr- und Trainingserfolge, der Fokus hier ist ein anderer, daher fasse ich die beiden unter dem Begriff Kenntnis zusammen).
Bewusstsein
Mit Bewusstsein meine ich die Anerkennung, dass ein bestimmtes Modell oder eine psychologische Erkenntnis auch für mich gilt, also auch eine Wirkung in mir entfalten kann, für mich folglich eine Bedeutung gewinnt. Wenn ich Ihnen etwas über ein psychologisch fundiertes Kommunikationsmodell erzähle, Sie aber in diesem keine Relevanz für sich selbst erkennen, wird dieses Modell für Sie wirkungslos bleiben. Sie werden sich damit nicht weiter beschäftigen, und es wird keinen Veränderungsprozess bei Ihnen initiieren können. Zumindest nicht bewusst. Aber hier geht es ja um bewusste Persönlichkeitsentwicklung.
Am Beispiel des 4-Ohren-Modells meine ich mit Bewusstsein die Überzeugung und Erkenntnis, dass mir dieses Modell bei jeder Kommunikation begegnet, dass ich jedes Missverständnis anhand dieses Modells analysieren, darstellen, erklären und - lösen kann. Damit bekommt es eine Relevanz für mich, und ich kann bewusst darauf achten. Unser Gehirn ist übrigens so angelegt, dass Informationen, die eine Relevanz haben, besser im Langzeitgedächtnis abgespeichert werden als Belangloses.
Wenn ich also Kenntnis von einem Veränderungspotenzial habe, muss ich das Bewusstsein entwickeln, dass es auch für mich gilt und ein Veränderungspotenzial für mich birgt.
Aufmerksamkeit
Nachdem ich Kenntnis von einem Veränderungspotenzial erlangt habe und mir seine Relevanz für meine eigene Entwicklung bewusst gemacht habe, folgt als dritte Komponenten die Aufmerksamkeit. Ich muss meinen Fokus auf die Wahrnehmung von Signalen lenken, die mit diesem Potanzial in Verbindung stehen.
Ich nehme als Beispiel wieder das 4-Ohren-Modell von Schulz von Thun. Ich kenne das Modell und habe mir seine Relevanz für mich selbst bewusst gemacht. Nun kann ich im Alltag aufmerksam beobachten, ob mir Hinweise auf seine Richtigkeit begegnen. Anders ausgedrückt: Ich kann darauf achten, ob mir Missverständnisse in der Kommunikation auffallen, die anhand dieses Modells erklärbar sind.
Wenn mir solche Situationen begegnen, stellt dies eine Rückmeldung an das Modell dar, und ich kann damit arbeiten. Ich kann mein Verhalten, meine Kommunikationsmuster entsprechend den Empfehlungen und Handlungsoptionen des Modells reflektieren und optimieren. Würde die Wahrnehmung solcher Situationen ausbleiben, so würde sich Folgendes ergeben: Ich hätte die Kenntnis über den Hintergrund und die Wirkweisen, ferner das Bewusstsein, dass dieses Modell auch für mich gilt, aber ich würde keine Situation erleben, in der ich das Modell anwenden könnte. Folglich wäre das Modell nutzlos.
Ich brauche also die Begegnung mit der Anwendung. Oder anders ausgedrückt: Möglichkeiten zum Üben, zum Training. Und diese Begegnungen ermögliche ich durch meine gesteigerte Aufmerksamkeit.
Zusammenfassung:
Kommunikationspsychologische Modelle sowie Modelle für die Persönlichkeitsentwicklung tragen den Anspruch in sich, nicht nur sinnfreie Theorie zu sein, sondern eine Wirkung in mir zu entfalten. Dies ist der Geist eines jeden Modells. Um diese Wirkung zu erreichen brauche ich die Kenntnis von diesem Modell (inkl. dem Verstehen seiner Wirkweisen), ich brauche das Bewusstsein (die Anerkennung, dass dieses Modell auch für mich gilt, mir also jederzeit Situationen für die Anwendung begegnen können), und ich brauche die Aufmerksamkeit, diese Situationen zu erkennen.