Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht
Über die Herkunft
Diese Lebensweisheit las ich vor langer Zeit an einer Hauswand in einer Stadt, die ich wegen eines Auftrages als Fotograf besuchte. Er war unterlegt von einem großen Gemälde, das eine Wiese vor einem See zeigte. Ein schönes Bild. Sowohl das Gemälde war schön, als auch der Spruch, der ja ebenfalls ein Bild darstellt. Diese Weisheit ist recht weit verbreitet, zu Recht, wie ich finde, und ihr wird ein afrikanischer Ursprung nachgesagt.
Was bedeutet dieser Spruch für mich, warum ist er es meiner Meinung nach wert, hier noch einmal eine Bühne zu bekommen?
Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. Nun, hierin steckt bereits ein gewisser Humor, und ich mag Humor auch in ernsthaften Themen, der er kann ein Instrument zur Aufmerksamkeitssteigerung sein. In diesem Fall ist es geeignet, in mir als Hörer oder Leser dieser Weisheit ein inneres Bild zu erzeugen. Ich stelle mir tatsächlich, wenn auch vielleicht nur für einen kurzen Moment, vor, wie jemand auf einer Wiese auf dem Boden hockt und an einem Grashalm zieht. Geht es Ihnen auch so? An dieser Stelle wandelt sich der Humor bereits in eine bittere Erkenntnis. Der Spruch benennt es nicht, aber dieses Bild birgt die logische Konsequenz in sich, dass der Grashalm sogar reißen wird, wenn man zu stark an ihm zieht. Diese Übersteigerung der eigentlichen Aussage ist von mir nur hineininterpretiert, aber wie gesagt, das Bild bringt es mit sich.
Aber bleiben wir bei der Kernaussage. Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. Wie schnell wächst denn Gras? Nun, ich bin kein Botaniker, aber ganz allgemein würde ich sagen: Es kommt auf die richtige Aussaat an, und dann spielen Faktoren wie ein nährstoffreicher Boden, Regen und Sonnenschein sowie anfänglicher Schutz der jungen Keime eine wesentliche Rolle. Zusammenfassend kann man sagen: Es gibt günstige oder ungünstige Rahmenbedingungen, die wir auch selbst schaffen oder optimieren können. Aber am Grashalm ziehen nützt nichts. Wenn die Rahmenbedingungen optimal sind, wird der Grashalm wachsen, und zwar in seiner eigenen, natürlichen Geschwindigkeit.
Ich erinnere mich an meine Zeit als Trainer und Berater im Gesundheitssport und an die Wünsche der Kunden, die mir immer wieder begegneten. Die Männer wollten überwiegend Muskeln aufbauen, die Frauen wollten straffen. Im Grunde genommen ist beides das gleiche, aber der Begriff der Straffung bei den weiblichen Trainingszielen hat sich irgendwie etabliert. Beiden Intentionen gemein war, dass es möglichst schnell gehen sollte. Wir Trainer hatten dann immer die Aufgabe, den Menschen zu erklären, dass auch körperliche Anpassungsprozesse mit einer naturgegebenen Geschwindigkeit ablaufen und nicht willkürlich beschleunigt werden können. Und jene, die dies nicht glauben wollten, die also härter und abweichend von den gesundheitsorientierten Empfehlungen ihr Training absolvierten, bekamen in der Regel Muskel-, Sehnen- oder Gelenkschmerzen. Ich möchte das Thema Trainingsphysiologie hier nicht zu sehr vertiefen, aber eines möchte ich zusammenfassend als Beispiel zum Ausdruck bringen: Auch körperliche Veränderungsprozesse unterliegen einer natürlichen Geschwindigkeit. Ein sportliches Training schafft Reize für Anpassungsprozesse, aber der Körper reagiert in seinem eigenen Tempo.
Aber es geht hier nicht nur um körperliches Training.
Gibt es im Leben nicht auch andere Dinge, bei denen es uns oft um Geschwindigkeit geht oder darum, dass etwas zu einem bestimmten Zeitpunkt geschehen soll, also – dass wir auf etwas bestimmtes, ein Ereignis, eine bestimmte Entwicklung oder Ähnliches nicht lange warten wollen? Fallen Ihnen da nicht auch spontan mehrere Dinge ein, die Sie sich in der Vergangenheit gewünscht haben? Oder die Sie sich in der Gegenwart wünschen? Kennen Sie das auch, dass Sie wünschten, es wäre schon so weit, dass Sie am liebsten den Gang der Dinge beschleunigen würden?
Mir selbst fallen mehrere Themen aus meinem Leben ein. Es ging um berufliche Veränderung, um das Finden von Liebe, um die Komposition und Veröffentlichung von Musik, und um einiges mehr, ja sogar um die Entstehung von Leben. Und ich kann Ihnen sagen: Ich habe für mich erkannt, dass alles zu seiner Zeit kommt. Alles zu seiner Zeit, diese Weisheit kennen Sie sicher auch. Für mich drücken beide Formulierungen das gleiche aus.
Alles zu seiner Zeit?
Was bedeutet das nun? Soll ich mich zurücklehnen und fünfe gerade sein lassen, wenn ich mein Ziel erreichen will? Das klingt nach Müßiggang, beinahe nach Faulheit. Das kann nicht die Lösung sein. Nun, diese Haltung wäre auch meiner Meinung nach tatsächlich keine Lösung. Denn Passivität führt sicher nicht zum Erfolg. Das eigene Zutun, also das aktive Arbeiten an der eigenen Zielerreichung ist essenziell. Wohl aber muss dieses aktive Zutun zeitlich sinnvoll bemessen sein. Oder mit anderen Worten: Ich muss an meiner Vision, an meinem Ziel arbeiten, aber ich sollte mich dem Umstand fügen, dass die Entwicklung, die ich gerade vorantreibe, ihrer eigenen Geschwindigkeit folgt bzw. dass das gewünschte Ergebnis zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt eintritt, den ich vielleicht nicht vorhersehen kann.
Gut – erklären Sie das mal meinem Chef, könnten Sie jetzt erwidern. Sicher. Im Beruf gibt es zeitliche Vorgaben, Deadlines für Projekte, und da wäre es etwas befremdlich, wenn Sie Ihrem Chef mit dieser ja fast schon spirituellen Einstellung daherkommen. Er würde Ihnen vielleicht tatsächlich Müßiggang oder Faulheit unterstellen, und Sie wären vielleicht Ihren Job los.
Aber was ist mit den großen Lebensthemen, den Träumen, Visionen oder einfach den ganz persönlichen Entscheidungen und Entwicklungen, für die Sie keinem Dritten Rechenschaft schuldig sind? Ich behaupte: Das Gras wächst. Es wächst immer weiter. Nur halt in seinem eigenen Tempo. Aber es wächst. Vertrauen Sie Ihrem Gras, und damit Ihnen selbst. Vertrauen Sie darauf, dass Sie unbewusst das Richtige tun, um ihr Ziel zu erreichen. Vertrauen Sie darauf, dass das große Ganze von Ihrem Bewusstsein vielleicht nicht allumfassend verstanden werden kann, dass Ihr Unterbewusstsein aber einen Fahrplan hat und passgenau auf kleine Entwicklungsschritte und Teilerfolge oder -misserfolge reagieren kann – ohne dass Sie das bewusst mitbekommen. Denn genau so ist es.
Es gibt tatsächlich sehr zahlreiche Geschichten, Gedichte, Filme und auch Songs, die vom Leben erzählen und genau dieses Thema beschreiben, nämlich dass oft die Dinge erst später eintreten, und wir bis zu diesem Zeitpunkt nicht verstehen, warum wir so lange warten müssen, was mit einer schleichenden Demotivation verbunden sein kann.
Aber scheinbar geht es sehr vielen Menschen so, dass sie diese Erfahrung gemacht haben, eben auch den Schreibern, Komponisten, Filmemachern, usw. Sonst würde es diese künstlerischen Werke ja nicht geben.
Warum wissen wir denn nicht im Vornherein, wann der richtige Zeitpunkt sein wird? Sind wir nicht schlaue Wesen? Sollten wir nicht mittels unseres Verstandes alle Rahmenbedingungen analysieren können, um so herauszufinden, wann es soweit ist?
Nun, auch in der Fachwelt, hier der Psychologie und Neurologie beschäftigt man sich schon lange mit der Frage, was mit der Flut an Informationen, Zahlen, Daten und Fakten, die wir aufnehmen und bewerten können, in unserem Gehirn geschieht. Vielleicht ahnen Sie es schon: Wir landen wieder beim Thema Bewusstsein und Unterbewusstsein.
Die Motivationspsychologie beschreibt beispielsweise das Phänomen der sich selbst erfüllenden Prophezeiung so, dass das Unterbewusstein an der Bestätigung und Erfüllung eines inneren Bildes, einer Vorstellung oder Überzeugung arbeitet, bis diese Realität geworden ist. Wenn Sie von etwas wirklich überzeugt sind, dann wird es mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit so kommen. Dies ist eine sehr vereinfachte Darstellung, und in dieser Kürze werde ich natürlich der Komplexität des Phänomens und auch seiner Einschränkungen nicht gerecht, aber eine tiefere Beschäftigung damit würde hier den Rahmen sprengen.
Ich möchte auf eines hinaus. Vertrauen Sie Ihrem Unterbewusstsein und - vertrauen Sie auf den Gang der Dinge. Und wenn das ersehnte Ereignis, auf das Sie warten, nicht so schnell eintritt, wie Sie es sich wünschen, dann seien Sie offen für die Frage, ob der Zeitpunkt vielleicht einfach noch nicht reif ist. Und dass Sie später verstehen werden, warum das so ist.
Alles zu seiner Zeit. Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.
Ich selbst habe meinen tiefen Frieden mit dieser Weisheit geschlossen und stufe sie als höchst wahrhaftig ein. In meinem eigenen Leben habe ich vielerlei Bestätigung dafür erfahren, und auch in der Beobachtung Anderer erkenne ich in dieser Weisheit eine universelle Wahrhaftigkeit.
Ich wünsche Ihnen für Ihren Lebensweg die gleiche Erkenntnis und Gelassenheit, die damit verbunden ist.
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