Wenn du dich sorgst, was andere Menschen von dir denken, wirst du immer ihr Gefangener sein.
Die Weisheit, um die es heute geht, wird dem chinesischen Philosophen Lao Tse zugeschrieben, der ca. 600 v.Chr. gelebt haben soll.
Was kann das bedeuten? Ein Gefangener? Jeder kümmert sich doch auch darum, was andere Menschen von ihm denken. Sind wir dann alle Gefangene? Für mich ist ein einziges Wort in diesem Zitat ausschlaggebend. Warum? Kommen Sie mit auf meine kleine Gedankenreise…
Wohl wahr, niemandem ist es vollkommen gleichgültig, was Andere über einen denken. Jeder möchte zumindest irgendwelche Art von Anerkennung, möchte gesehen werden. Der eine mehr, die andere weniger. Abgesehen von krankhaften Situationen wie beispielsweise einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung ist das vollkommen normal und auch gesund. Wir sind gesellige Wesen. Wir brauchen die Gemeinschaft, das hat sich im Laufe der Evolution nunmal so ergeben. Ohne Gemeinschaft können wir nicht gesund sein, das ist wissenschaftlich erwiesen. Und da wir in einer Gemeinschaft leben, müssen wir in ihr einen Platz einnehmen, oder anders formuliert, eine Rolle in diesem System. Wir brauchen also das Feedback der anderen Systemmitglieder, der anderen Mitglieder unserer Gemeinschaft. Und Feedback hat die Eigenschaft, dass es verwertbar ist. Und genau das tun wir. Wir werten das Feedback der Anderen aus. Der eine mehr, der andere weniger, oder vielleicht weniger bewusst. Aber letztendlich ist es uns eben nicht egal, was andere von uns denken. Und dabei könnte ich es belassen, denn damit wäre der Spruch doch falsch oder zumindest unbrauchbar, oder?
Ich denke, es lohnt sich auch hier, mal tiefer reinzugehen.
Ich möchte hier mal über die Übertreibung des Gesunden reden. Damit meine ich das Feld zwischen der gesunden Mitte und der krankhaften Ausprägung. Denn die gesunde Mitte bedarf keiner weiteren Diskussion, und eine Beschäftigung mit der krankhaften Ausprägung überlasse ich den Fachleuten, sprich den Psychologen.
Kennen Sie Menschen, die sehr, wirklich sehr darauf erpicht sind, in den Augen der Anderen als gut dazustehen? Kennen Sie Menschen, die viel Energie darin investieren, anerkannt zu werden, die sich sehr damit beschäftigen, was Andere über sie denken? Hand auf’s Herz – geht es Ihnen auch manchmal so? Mir schon. Natürlich ist es für mich auch hier und da interessant, was Andere über mich denken. Je mehr jemand in der Öffentlichkeit steht, desto mehr muss er sich auch um sein Image kümmern. Aber – wie weit darf oder sollte das gehen?
Imagepflege ist das eine. Sich selbst treu bleiben das Andere. Wenn beides perfekt zusammen passt, ist das großartig. Aber wie viele Menschen verbiegen sich, bei den Bemühungen, in der Wahrnehmung der Anderen als gut, erfolgreich, schön, fleißig oder was auch immer dazustehen?
Und von den Menschen, die sich verbiegen – wie viele sind es, die sich eben nicht mehr selbst treu bleiben? Und wie viele Menschen sind es, die dies noch bewusst wahrnehmen? Wie viele nehmen es mit Absicht in Kauf – und wie viele leiden darunter, ohne zu wissen, woher das Leid kommt?
Ein Beispiel: Prominente. Schauspieler, Musik-Stars, Politiker, YouTuber oder Influencer. Sie alle vereint, dass sie beobachtet werden. Von der Öffentlichkeit. Der Masse entgeht nichts, und der kleinste Faux-Pas kann einen Shitstorm zur Folge haben. Ein Gefängnis, wie ich meine. Ständig in Sorge sein zu müssen, was das eigene Verhalten für Auswirkungen haben kann, hört sich nicht nach einem entspannten Lebensstil an. Und die zahllosen Interviews mit eben genannten Personenkreisen bestätigen dies immer wieder.
Aber bleiben wir bei den Nicht-Prominenten. Bei Kollegen, Freunden, Verwandten – oder auch bei uns selbst.
Ich betreibe Körperpflege, weil ich mich selbst dann besser fühle. Klar. Aber wenn ich vor dem Spiegel stehe, arbeitet dann in mir nicht auch ein kleines bisschen die Frage, wie ich aussehe, was Andere über mich denken? Dresscodes beispielsweise. Bei bestimmten Anlässen trägt man eben dies oder das. Hm. Was, wenn ich den Dresscode breche – wie kommt das bei den Anderen an? Schade ich mir damit selbst?
Aber es geht ja nicht nur um das Aussehen. Es geht auch um Taten.
Wenn ich dies oder jenes tue, ist mein Ansporn vielleicht, dass ich Lob erhalte, oder Anerkennung, oder Dankbarkeit? Lob, Anerkennung und Dankbarkeit sind sehr wichtig im Zusammenleben, und wir alle brauchen das. Ohne Frage. Jedoch sollte ich Dinge nicht nur tun, um diese positiven Rückmeldungen zu erreichen, sondern weil ich es in mir selbst möchte. Oder? Wir sind beim Thema intrinsische und extrinsische Motivation. Alle Rückmeldungen, die von außen kommen, sind extrinsische Motivatoren. Und das gute Gefühl, das ich habe, wenn ich etwas tue, dieses Gefühl, das ich tief in mir spüre, ist ein intrinsischer Motivator. Wenn ich ein Hobby liebe, beispielsweise eine Sportart, und ich nehme an einem Wettkampf teil, so ist das Schielen auf eine Medaille ein extrinsischer Motivator, auch wenn ich in diesem Sport noch so sehr aufgehe. Das wird oft verwechselt. Das Erreichen eines Ziels ist ein extrinsischer Motivator. Ich tue etwas, UM das Ziel zu erreichen.
Wenn ich aber etwas der Sache selbst wegen tue, weil ich darin aufgehe, weil es einfach zu mir und meinem Wesen passt, weil ich selbst diese Herausforderung brauche, um daran zu wachsen, dann bin ich intrinsisch motiviert.
Aber es geht ja nicht nur um das Aussehen oder um Taten. Es geht ja auch um Persönlichkeit. Wer bin ich eigentlich, was bin ich für ein Mensch - und wie nehmen Andere mich wahr?
Nun als Coach bin ich natürlich dafür, dass wir uns nicht nur mit unserem Selbstbild beschäftigen, also der Frage, wie wir uns selbst wahrnehmen, sondern auch mit dem Fremdbild, also mit der Frage, wie Andere uns wahrnehmen. Wie oben beschrieben, brauchen wir das Feedback der Anderen, um an uns selbst zu arbeiten und uns persönlich weiter zu entwickeln. Das ist ein wesentlicher Kern im Coaching und in der Persönlichkeitsentwicklung.
Hier wird es komplizierter. Denn wir alle haben eine Persönlichkeit, wir alle haben individuelle Erfahrungen und Prägungen (auch und vor allem aus der Kindheit), daraus resultierende Kommunikations- und Verhaltensmuster, und nicht alle sind großartig oder förderlich. Ohne Frage. Aber sie sind Teil unserer Persönlichkeit und als solche wollen auch sie anerkannt und wertgeschätzt werden.
Wertschätzung. Ich bin gut, so wie ich bin. Auch Sie sind gut, genau so wie Sie sind. Damit meine ich nicht die äußerlich erkennbaren Kleinigkeiten, an denen Sie arbeiten können. Sondern ich meine Sie als Menschen, den Kern Ihres Wesens.
Ist doch egal, was Andere über mich denken: Wer mich nicht kennen lernen will, der kann mir gestohlen bleiben. Wer mich nicht sehen will, soll woanders hinschauen.
Und wer nur an mir herumnörgeln will, um seine eigenen Defizite zu vertuschen oder sie auf mich zu spiegeln, um sie dann in mir zu kritisieren (in der Psychologie nennt man das übrigens Projektion), der kann eh bleiben, wo der Pfeffer wächst. Kennen Sie solche oder ähnliche Aussagen, die sich mit innerer Stärke und Abgrenzung beschäftigen? Ich finde die klasse. Warum? Ich möchte das alles hier mal zusammenfassen und Ordnung in meine Gedanken bringen.
Eine kleine Anmerkung: Ich spreche hier von uns Erwachsenen. Für wen diese Weisheit überhaupt nicht geeignet ist, sind Kinder, denn sie benötigen zwingend die positive Rückmeldung Ihrer Eltern, damit sie sich gesund entwickeln können. Und hier lauern übrigens auch schon die nächsten Probleme. Denn je nachdem, wie viel bereits bei der frühkindlichen Prägung schiefläuft, können daraus entstandene hinderliche Glaubenssätze die Menschen im späteren Leben tatsächlich zu Gefangenen machen.
So. Nun meine Zusammenfassung.
Ich bin ein Mensch und damit ein geselliges Wesen. Ich lebe in einer Gemeinschaft mit anderen Menschen und evolutionär bedingt brauche die Anerkennung der anderen Gemeinschaftsmitglieder genau so wie sie. Und natürlich wünsche ich mir positives Feedback, weil es mein Selbstvertrauen stärken kann.
Ich versuche stets, an mir zu arbeiten, meine eigenen Glaubenssätze zu hinterfragen, mich persönlich weiter zu entwickeln. Und dafür nehme ich Feedback dankend an, sofern es wohlwollend gemeint und formuliert ist.
Ich kümmere mich also durchaus darum, was andere Menschen von mir halten. Aber – und darum geht es mir heute (ich hatte ja eingangs erwähnt, dass ich ein bestimmtes einzelnes Wort in dieser Weisheit für ausschlaggebend halte): Ich sorge mich nicht.
Wenn die Frage, was andere Menschen von Ihnen denken, mit Sorge verbunden ist, also mit Angst, dann ist das nicht gut. Angst ist ein negatives Gefühl. Angst kann Energie rauben, lähmen, blockieren, sogar der Gesundheit schaden.
Und diese Sorge, diese Angst kann Sie dazu bringen, sich auf eine bestimmte Weise zu verhalten oder zu zeigen, sich also zu verbiegen, nur um dann ein besseres Feedback zu erhalten. Und – wer sich verbiegt, bleibt sich selbst nicht treu. Und wer sich selbst nicht treu bleibt, riskiert sein eigenes Wohlbefinden. Denn irgendwann fühlt man sich damit einfach nicht mehr wohl. Jeder Mensch will doch so anerkannt und geliebt werden, wie er ist, oder?
Sie sind gut, so wie Sie sind. Besser geht immer, und für eine persönliche Weiterentwicklung ist Feedback sehr nützlich und willkommen, aber: Sorgen Sie sich nicht…
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