Warum viele Change-Prozesse scheitern. Und wie wir die Stolpersteine beseitigen können
Dieser Artikel beschäftigt sich mit 3 verschiedenen Themenfeldern, die allesamt wichtig sind zu verstehen, warum Change-Prozesse sehr oft scheitern.
- Was bedeutet Wandel, und welche Aussagekraft haben Zukunftsprognosen?
- Nicht nur bestehende Prozesse müssen optimiert werden, sondern der Change-Prozess an sich. Was bedeutet das?
- Welche kognitiven und psychologischen Effekte bei den beteiligten Menschen können einen Change-Prozess behindern oder blockieren?
Starten wir mit dem ersten Themenfeld:
Was bedeutet Wandel, und welche Aussagekraft haben Zukunftsprognosen?
Heutzutage wird so viel (und meist leider auch sehr undifferenziert) über Change Prozesse und deren Notwendigkeit gesprochen, dass es kaum mehr auszuhalten ist. Ja, dieses Thema macht vielen Menschen sogar Angst, was Umfragen unter Führungskräften ergeben. Oft hören oder lesen wir: Wer nicht auf diesen oder jenen Zug aufspringt (beispielsweise den der fast schon vergötterten Digitalisierung), der wird morgen untergehen.
Solche Aussagen sind natürlich vollkommener Humbug. Aus 2 Gründen.
Erstens kann niemand die Zukunft exakt vorhersagen. Zukunftsforscher oder Branchenkenner sind zwar schlaue Leute. Ohne Frage. Wer über die Dynamiken unserer Gesellschaft als so genanntes lebendiges System Bescheid weiß, über weitreichende Branchenkenntnisse (Produkt, Markt und Entwicklung) verfügt, politische Verflechtungen und Tendenzen kennt, wirtschaftliche Fachkenntnis hat und über den Stand der Technik und Forschung bestens informiert ist, etc., der kann sicher gut abschätzen, wohin diese oder jene Entwicklung gehen wird. Aber mehr als eine allgemeine Einschätzung ist nicht drin. Was genau kommt auf uns zu? Das vermag niemand exakt vorherzusagen.
Zweitens sind solche Aussagen wie „Wenn Du heute das nicht tust, dann wirst Du morgen…“ auch daher Unsinn, weil sie nicht gleichermaßen auf jeden zutreffen. Wenn Sie beispielsweise ein hippes Life-Style-Produkt für Teenager verkaufen wollen, werden Sie ohne eine ausgefeilte Social-Media-Strategie ganz sicher baden gehen. Fragen Sie aber mal einen Bauunternehmer, der für die öffentliche Hand seit 30 Jahren verlässlich seine Aufträge abwickelt und bestens in Politik und Wirtschaft vernetzt ist, nach Social-Media-Kampagnen. Der lacht Sie aus.
Wir müssen also differenzieren. Was für das eine Unternehmen der Segensbringer sein kann, erweist sich vielleicht für das andere als vollkommen bedeutungslos. Je nach Produkt, Marktsegment, Zielgruppe, etc.
Und was ist mit all den Rahmenbedingungen – mit der Welt, die uns umgibt?
Kennen Sie den Begriff VUCA? Die 4 Buchstaben V-U-C-A stehen im Englischen für die Begriffe:
- Volatility (Flüchtigkeit) Vieles befindet sich im Wandel, was heute verlässlich ist, kann morgen verflogen sein.
- Uncertainty (Ungewissheit) Wir können uns auf viele Dinge nicht mehr verlassen. Es geht ein gehöriges Stück Sicherheitsempfinden verloren.
- Complexity (Komplexität) Es gibt kaum noch einfache Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge mehr. Der Überblick wird erschwert.
- Ambiguity (Mehrdeutigkeit) Wertesysteme ändern sich, Informationen erscheinen paradox, es gibt viele Blickwinkel und nicht diese eine Wahrheit.
Der VUCA-Begriff hat sich seit einiger Zeit etabliert, beschreibt er doch auf anschauliche Weise, wie schwierig es heutzutage ist, sich zurecht zu finden und die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Einfache, monokausale und lineare Lösungen helfen nicht mehr, wir haben es mit viel Flüchtigkeit, Ungewissheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit zu tun. Um in der VUCA-Welt bestehen zu können, brauchen wir also ganz bestimmte Fähigkeiten und ein ganz bestimmtes Mind-Set.
Kommen wir daher zum zweiten Themenfeld:
Nicht nur bestehende Prozesse müssen optimiert werden, sondern der Change-Prozess an sich. Was bedeutet das?
Die Natur von nachhaltigen Change-Prozessen wird leider sehr oft falsch verstanden, was ebenfalls durch Studien bestens belegt ist.
Oft wird für ein Unternehmen X (aufgrund umfangreicher Analysen) ein IST-Zustand ermittelt, und daraus werden dann bestimmte Empfehlungen für Veränderungen abgeleitet. Daran ist nichts Falsches, ganz im Gegenteil. Professionelle Unternehmensberatungen erarbeiten so einen enormen Mehrwert für ihre Kunden.
Eines sollten wir aber bedenken: Wir befinden uns bei dieser Vorgehensweise gedanklich im Jetzt und im Morgen. Was aber geschieht übermorgen?
Nichts ist so sicher wie der Wandel. So heißt es, und so ist es. Damit ist zwar nicht gemeint, dass sich jetzt gerade alles wandelt. So empfinden es viele, und von Unternehmensberatern, Autoren, etc. wird dies auch teilweise so suggeriert, aber das stimmt schlichtweg nicht. Oft wird hier einfach über Angst ein Handlungsdruck bei der potenziellen Kundschaft generiert, damit anschließend teure Beratungsdienstleistungen verkauft werden können.
In der Tat gibt es kaum noch Telefonzellen in der Stadt, denn die brauchen wir kaum noch. Stimmt. Aber wir essen immer noch (und zwar seit Jahrtausenden) Äpfel und Birnen. Nicht alles wandelt sich. Es gibt Bewährtes, und an Bewährtem dürfen wir gerne noch eine Weile festhalten. Wenngleich wir es durchaus verändern dürfen und es auch tun. So werden heute Äpfel und Birnen anders angebaut, geerntet, gelagert und verarbeitet als noch vor 100 Jahren, aber es sind immer noch Äpfel und Birnen.
Wahrhaftig ändert sich vieles in der Zeit, in der wir gerade leben. Und einiges auch recht rasant. Beispielsweise die Technik. Wir dürfen und sollten aber ein gehöriges Maß Tempo aus unseren Gedanken und auch aus den Change-Prozessen selbst nehmen. Ruhe und Gelassenheit tun gut. Ohne Druck und ohne Panik. Dann werden Sie auch nachhaltige Ergebnisse erreichen. Was ist mit nachhaltig gemeint?
Nehmen wir an, wir hätten eine bestimmte Rahmenbedingung, die für unser Unternehmen X eine tragende Rolle spielt, und die sich seit 20 Jahren verlässlich in einem stabilen Status Quo befunden hat. Diese Rahmenbedingung ändert sich gerade, und innerhalb von 3 Wochen stellt sich bei dieser veränderten Rahmenbedingung ein neuer und stabiler Status Quo ein, der wiederum über lange Zeit eine verlässliche Basis für Entscheidungen und Zukunftsprognosen ist. Dann könnten wir bestimmte Prozesse einmalig optimieren und an diese veränderte Rahmenbedingung anpassen. Change erfolgreich abgeschlossen.
Nun, das Problem ist, dass wir in einer Zeit leben, in der sich immer mehr Rahmenbedingungen immer wieder unerwartet, und auch häufiger und schneller verändern, als wir es aus der Vergangenheit gewohnt sind. Der „Wandel“ entwickelt sich also zu einem immer alltäglicheren, nicht vorhersehbaren und nicht steuerbaren Phänomen. (Erinnern Sie sich an den Begriff VUCA-Welt)
Daher hilft es nicht, immer wieder eindimensional auf die Veränderung bestimmter einzelner Rahmenbedingungen zu reagieren und entsprechende Change-Prozesse daran auszurichten. Das könnte nämlich alsbald zu einer ziemlichen Ermüdung führen und sämtliche Ressourcen (die persönlichen und die eines Unternehmens) auffressen. Es gilt vielmehr, das Potenzial für Change-Prozesse zu optimieren, sowie eine gewisse Widerstandsfähigkeit gegen den Druck, der vom teilweise rasanten Wandel ausgehen kann, aufzubauen (Resilienz).
Oder einfacher ausgedrückt: Jedes Unternehmen und jeder Einzelne muss lernen, gelassen und zielführend auf immer wieder neue Veränderungen zu reagieren und das Beste daraus zu machen. Das ist durchaus eine Kompetenz, die wir erst erlernen oder wenigstens weiter entwickeln müssen.
Denn wenn ich heute auf bestimmte Veränderungen reagiere, und für morgen bestens aufgestellt bin, kann es sein, dass übermorgen wieder alles ganz anders kommt… Gut beraten ist also der, der die nötige Flexibilität und Gelassenheit mitbringt, sich dieser Welt der Veränderungen zu stellen.
Wir sollten also nicht nur einzelne Prozesse optimieren, sondern unsere Fähigkeit, permanent mit Veränderungen umzugehen. Vorwiegend essenziell sind also nicht nur bestimmte handlungsorientierte Kompetenzen, sondern ein bestimmtes Mind-Set, eine positive und förderliche, konstruktive Grundhaltung. Was ist damit gemeint?
Stellen Sie sich vor, Sie wollen etwas verbessern. Im privaten Bereich oder in Ihrem Unternehmen. Egal was es ist – wenn Sie etwas verbessern wollen, müssen Sie es verändern. Soviel steht fest. Daran führt kein Weg vorbei. Nur: Sobald Sie etwas verändern, müssen Sie mit der Ungewissheit leben, was Sie als Resultat erwartet. Das ist reine Logik. Sie benötigen also Mut, sowie eine Grundhaltung, die Veränderungen willkommen heißt. Sie müssen in der Lage sein, sich auf das Potenzial für Verbesserungen zu fokussieren und die Gefahr der Verschlechterungen, Rückschläge oder Fehlentscheidungen gerne in Kauf zu nehmen. Bestenfalls können letztere sogar als Lerneffekt und Anreiz für weitere Entwicklung (also wiederum als Potenzial) umgedeutet werden. Dies ist dann ein so genanntes Reframing. (Der Begriff meint, dass Sie einer Sache, die Sie bisher als negativ wahrgenommen haben, einen neuen, positiven Rahmen verpassen.)
Was bedeutet das alles? Wer etwas verbessern möchte, der muss es verändern. Wer etwas verändert, kann nicht wissen, was dabei herauskommt. Aber wer es nicht verändert, kann auch nicht verbessern. Dieses ist unsere Ausgangslage für jeden Change-Prozess. Wenn hier Vorsicht, Angst oder verkrustete Strukturen regieren, wird es nichts.
Denn genau hier lauern die Stolpersteine. Studien zeigen, dass sehr viele Change-Prozesse scheitern, und zwar immer wieder aus den gleichen oder sehr ähnlichen Gründen:
- Schlechte Kommunikation
- Mangelnde Motivation
- Hinderliche Organisation
- Falsches Verständnis, was Wandel bedeutet
- Psychologische Effekte, die mit Angst vor Veränderungen zu tun haben und die die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit des Einzelnen bremsen oder lähmen können.
Den letzten Punkt möchte ich hier genauer unter die Lupe nehmen.
Kommen wir also zum dritten Themenfeld:
Welche kognitiven und emotionalen Effekte bei den beteiligten Menschen können einen begonnen Change-Prozess behindern oder blockieren?
Oft, sehr oft scheitern Veränderungsprozesse an inneren (also teilweise sogar unbewussten) Barrieren der Beteiligten. Die Angst vor Veränderung lässt sich einfach heruntergebrochen damit erklären, dass die Zukunft ja ungewiss ist. Wenn ich etwas ändere, könnte es schlimmer kommen als es jetzt ist. Ich hätte also mit einem Verlust zu leben. Hier regiert also die Angst vor dem Unbekannten und / oder eine so genannte Verlust-Aversion. Unser limbisches System, also der Teil unseres Gehirns, das maßgeblich unser Unterbewusstsein darstellt, ist ein Meister darin, Energie zu sparen und Leid vermeiden zu wollen. Dies sind zwei seiner Kernaufgaben. Wenn ich also alles beim Alten belasse, kann es zumindest nicht schlechter werden. Soweit so gut. Oder besser: Nicht gut, denn durch diese innere Sicherheits-Sperre werden Change-Prozesse natürlich ganz vorzüglich blockiert.
Der so genannte Social-Proof-Effekt besagt: In einem Team neigen Mitarbeiter dazu, der Meinung oder Haltung Anderer beizupflichten, wenn diese eine Mehrheit bilden, ranghöher sind oder fachlich versierter, etc., wenn es sich also sozial lohnt, dieser Gruppe anzugehören oder ihr wohlgesonnen zu sein. Herdentrieb sagen wir auch oft.
Hinderlich kann auch der so genannte Self-Herding-Effekt sein. Hier folgen wir unseren eigenen alten Denk-Mustern, die auf bereits gemachten Erfahrungen basieren und scheinbar in Stein gemeißelt sind. Neue Sichtweisen oder Handlungsoptionen werden blockiert. Speziell auf Handlungs-Muster bezogen sprechen wir von Pfadabhängigkeit. Ebenfalls ein Killer für Change-Prozesse.
Die so genannte Affektheuristik besagt, dass eigene Meinungen oder Entscheidungen lediglich auf der Zuneigung oder Abneigung gegenüber Alternativen basieren. Hier regieren also Emotionen, die oft spontan entstehen, rational nicht abgewogen und den beteiligten Mitarbeitern oft nicht bewusst sind.
Der so genannte Effekt der versunkenen Kosten lässt uns oft an bisherigen Strukturen festhalten, wenn in sie bereits eine erhebliche Menge an Energie (also Zeit oder Geld) investiert wurde. Wir versuchen also, die bisherigen Investitionen durch das Festhalten (oft auch entgegen jeder Logik) zu rechtfertigen oder aufzuwiegen.
Der Confirmation Bias ist ein sehr beliebter Denkfehler. Er besagt, dass wir in unserem Denken bestätigt werden wollen. Dies führt soweit, dass wir tatsächlich jenen Informationen unbewusst Vorrang geben, die unser Denken bestätigen und andere, die unser Denken infrage stellen könnten, ausblenden oder ablehnen. Logisch ableiten lässt sich, dass dieser (oft als Vater aller Denkfehler bezeichnete) Effekt einen Veränderungsprozess vollkommen blockieren kann.
Die Liste lässt sich noch sehr spannend fortführen, aber ich möchte es an dieser Stelle dabei belassen.
Wie können wir diese Barrieren nun umschiffen und unserem Change-Prozess einen fruchtbaren Boden bereiten?
Beachten Sie bitte, hinter solchen Effekten steckt kein bewusstes Kalkül, wir machen das nicht mit Absicht, schon gar nicht mit böser. Solche Dynamiken laufen unbewusst ab und basieren übrigens auf einer simplen, sehr positiven Intention: Nämlich Sicherheit zu gewährleisten. Dies ist evolutionär begründet und daher sehr nützlich und auch gut. Ein erster Schritt besteht also notwendigerweise darin, diese hinderlichen Effekte willkommen zu heißen und als vollkommen menschlich zu akzeptieren. Erst im nächsten Schritt können wir sie umschiffen und mit Mut und Verstand durch neue Strategien ergänzen oder überlagern.
Fazit:
Wenn Sie Change-Prozesse in Gang setzen und nachhaltig implementieren will, müssen Sie einige Dinge vorher klären bzw. gewährleisten:
- Machen Sie sich klar: Die Zukunft ist ungewiss. Vieles wandelt sich, aber was sich wann und wie wandelt, können sie nicht klar vorhersagen. Flexibilität, sowie eine positive und förderliche Grundhaltung sind also die Basis für jede Veränderungs-Bereitschaft und -fähigkeit.
- Befreien Sie sich von der Angst vor dem Ungewissen. Wenn Sie etwas verbessern wollen, müssen Sie es verändern. Die Angst vor dem Ungewissen ist menschlich, muss aber überwunden werden. Den Effekt der Veränderung erfahren Sie erst, wenn er eintritt. Erarbeiten Sie also Strategien zur Evaluierung einzelner Effekte zum eventuellen Gegensteuern. Change ist ein fortdauernder Prozess.
- Lernen Sie Ihre inneren Barrieren, Ihren inneren Widerstand kennen. Welche Streiche spielt Ihnen Ihr Unterbewusstsein – und warum? Heißen Sie diese Effekte willkommen. Sie sind menschlich und vollkommen in Ordnung. Mit diesem Wissen und dieser Erkenntnis dürfen Sie sie dann gerne umschiffen und durch förderlichere Strategien ergänzen oder überlagern.
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